Der Sportler soll die Chance erhalten, sich selbstbewusst gegen Doping zu entscheiden. Diese Zielsetzung als Sinn und Zweck aller Präventionsaktivitäten vertrat die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) bei der von Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen besuchten Tagung „Saubere Leistung? – Doping in Sport und Gesellschaft“, die am Wochenende im Deutschen Hygienemuseum in Dresden stattfand. Eingeladen hatten die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), das Deutsche Hygienemuseum und die NADA.
Geprägt war die Veranstaltung von den erwünscht kontroversen und offenen Diskussionen sowie kritischen Betrachtungen zum aktuellen Stand der Dopingbekämpfung. Dies wurde auch in dem von den Journalisten Herbert Fischer-Solms und Anno Hecker am Rande der Tagung geführten „Sportgespräch“ des Deutschlandfunks (DLF) mit den führenden Sportsoziologen Prof. Dr. Helmut Digel und Prof. Dr. Eike Emrich sowie dem des Dopings geständigen ehemaligen Schweizer Radfrofi Rolf Järmann deutlich. Das am Sonntag im DLF gesendete Sportgespräch ist unter folgendem Link abrufbar: <link http: ondemand-mp3.dradio.de file dradio dlf_20111106_2330_bc8d273b.mp3>ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/11/06/dlf_20111106_2330_bc8d273b.mp3
Sinn und Unsinn eines Anti-Doping-Gesetzes stand in dem von NADA-Präventionsleiter Dominic Müser geleiteten Panel im Mittelpunkt der Diskussion. „Es ist Schall und Rauch, ob wir ein Anti-Doping-Gesetz haben. Entscheidender ist die Kooperation mit Bundeskriminalamt, Zoll und der Polizei dort, wo ein Anfangsverdacht besteht“, sagte Prof. Digel. Der langjährige Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (1993 bis 2000), nach wie vor Councilmitglied des Weltverbandes IAAF stellte fest: „Der Dopingbetrug ist heute hochintelligent organisiert. Deshalb sind Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften der richtige Schritt, aber das ist noch nicht genug.“
NADA-Chefjustiziar Dr. Lars Mortsiefer betonte: „Man muss immer fragen, was bringt ein Gesetz mehr. Wichtig ist zunächst, die Strukturen zu schaffen, denn der Tatbestand ist da. Also kommt es darauf an, unsere Task Force zu stärken und die Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaften und den staatlichen Ermittlungsbehörden auszubauen.“ Unabdingbar sei, so Vorstandsmitglied Mortsiefer, „dass Ergebnismanagement- und Disziplinarverfahren bei potentiellen Dopingverstößen von unabhängigen Disziplinarorganen durchgeführt werden“.
Digel äußerte sich auch zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: „DLV und NADA arbeiten sehr eng zusammen. Wir sehen auch, wie die NADA ausgestattet ist.“ Provozierend sprach er angesichts der drohenden Unterfinanzierung der NADA ab 2013 sogar von einem „Systemversagen der Politik in Bezug auf das Dopingproblem“.
Prof. Dr. Tim Meyer, Mannschaftsarzt der deutschen Fußball-Nationalelf, forderte bessere Rahmenbedingungen für eine qualifizierte Betreuung der Athleten in Anti-Doping-Fragen. „Ansätze einer rigiden Kontrolle der Ärzte scheinen wenig erfolgversprechend, da sie durch die sonstigen Erfordernisse der medizinischen Tätigkeit sowie die ärztliche Schweigepflicht ins Leere laufen dürfte“, sagte der Leiter der Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes: „Vielmehr gilt es, das Selbstverständnis der Ärzte als Gesunderhalter und Heiler zu fördern. Ärzte sind keine Leistungsverbesserer.“ Wünschenswert, so Meyer, sei eine Ausweitung und Aufwertung der Ausbildung zum Sportmediziner.
Verblüffende Denkanstöße gab Prof. Dr. Ulrich Hartmann (Universität Leipzig) zum Drang nach ständiger Perfektionierung und Optimierung, der dem Höchstleistungssport innewohnt. Hartmann legte die Diskrepanzen zwischen der Wunschvorstellung von Sportlern und Trainern einerseits und der biologischen Realität andererseits schonungslos offen. „Der Glaube ist meist: Je mehr ich mache, desto größer ist der Effekt. Das entspricht aber nicht der biologischen Realität. Das System verhält sich nach eigenen biologischen Gesetzen – jeder Athlet hat individuelle Anpassungsvoraussetzungen. Und die größte Gratwanderung ist es, wenn man ein hohes Leistungsniveau hat. Das wird oft ignoriert.“ Immens sei aus diesem Grund auch die Verlockung zur Leistungsmanipulation. Hartmanns Schlussfolgerung: „Erste Prävention ist eine vernünftige Reflexion des Trainings.“
Die Bedeutung der Dopingbekämpfung für Sport und Gesellschaft hatte Dr. Christa Thiel im Auftakt-Vortrag unterstrichen. „Doping greift die Gesellschaft an und stellt den gesamten Wettkampfsport in Frage“, erklärte die Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV). Deshalb habe der DOSB seinen Zehn-Punkte-Plan gegen Doping entwickelt.
Den Anspruch der Dresdner Tagung hatte bpb-Präsident Thomas Krüger in seiner Eröffnungsrede so formuliert: „Ziel ist es, aus dem Elfenbeinturm des Fachdiskurses ein gesellschaftliches Thema zu machen.“ Ein großer Schritt ist getan: Mehr als 100 Tagungsteilnehmer aus Sport und Gesellschaft haben jede Menge Informationen, Meinungen und somit reichlich Diskussionsstoff zur Dopingbekämpfung in ihre alltägliche Arbeit mitgenommen.
Gefördert wurde die Veranstaltung aus Mitteln des Bundesministerium des Innern (BMI) im Rahmen des Nationalen Dopingpräventionsplans (NDPP).